Tag des Gedenkens an die „Rote Kapelle“

13. August 2023

Wir dokumentieren hier das Gedenken an die ermordeten Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ am 5. August, zu dem wir eingeladen hatten.

Etwa 150 Personen unterschiedlicher sozialer Herkunft und Weltanschauung waren in ihr in Berlin aktiv. Mindestens ein Drittel davon waren Frauen.

Das Gedenken wurde organisiert von der Basisorganisation Berlin FH/XB der VVN BdA und unterstützt von „Hufeisern gegen Rechts“, „Antifaschistische Vernetzung Lichtenberg“, „Frauentouren“, „Antifaschistinnen aus Anstand“, „Kiezbündnis am Kreuzberg“ und „Kreuzberger Horn“.

Am Vormittag gab es ein stilles Gedenken, in dem ein Kranz und Blumen an der Gedenkstätte Plötzensse, dem Ort der Hinrichtung, niedergelegt wurden. Am Nachmittag fand dann eine Gedenkkundgebung vor dem Haus Hornstraße 3 in Kreuzberg statt. Darin hatte Ursula Goetze bis zu ihrem Tod gewohnt.

Zwei zentrale Redebeiträgen widmeten sich Leben und Schicksal der beiden Frauen. Kulturell eingerahmt wurde auch diese Veranstaltung durch die immer emotional bewegenden Lieder von Isabel Neuenfeldt. Clara Hermann, die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, hielt ein Grußwort an die Teilnehmenden.

Für alle, die nicht dabei sein konnten werden Im Folgenden Szenen des Tages und die beiden Redebeiträge der Historikerinnen Gisela Notz (für Hilde Coppi) und Trille Schünke (Ursula Goetze) wiedergegeben.

HILDE COPPI

Fast alles, was ich über Hilde Coppi weiß, weiß ich von Dir lieber Hans. (Gisela spricht hier den Ehrenvorsitzenden der VVN BdA Berlin, Hans Coppi, an, der auch auf der Kundgebung anwesend war; d. Verf.)

Vor einigen Jahren hast Du im Bundesarchiv auf einer kleinen Karteikarte einen Eintrag über deine Mutter vom Gefängnispfarrer des Berliner Frauengefängnisses gefunden: „Hilde Coppi, Hochverrat und Landesverrat, Schulze-Boysen-Kreis, zart, fein, tapfer, ganz selbstlos. Gebar am 27.11.42 ihr Kind. Hinrichtung ihres Mannes durfte ihr nicht mitgeteilt werden, ließ darum ihren Schmerz nicht laut werden. Kind wurde von ihrer Mutter erst in der Woche der Hinrichtung geholt. Stolz, beherrscht und lieb. Kein Hass. Eine rührende Persönlichkeit. Rechnete nie mit „Gnade“ der Menschen.“

Wer war Hilde Coppi?

Hilde Coppi ist am 30. Mai 1909 als Hilda Rake in Berlin geboren worden. Ihr Vater, Max Rake, ein Täschner, also einer der Taschen näht, starb bereits 1914 und so wuchs sie bei der Mutter, die einen kleinen Lederwarenladen betrieb, auf. Hilde besuchte das Lyzeum bis zur Unter-oder Obersekunda, da sind sich die Quellen nicht einig. Jedenfalls verließ sie die Höhere Handelsschule, die sie anschließend besuchte, als ihre Mutter den Lederwarenladen in der Invalidenstraße aufgeben musste, und arbeitete seit 1927 als Sprechstundenhilfe und Sekretärin bei verschiedenen Berliner Ärzten. Sie führte die Buchhaltung, assistierte bei Röntgenaufnahmen und sogar bei operativen Eingriffen. Sie lebte mit ihrer Mutter zusammen, die alleinstehend und ohne eigene Einkünfte war und bildete sich an Volkshochschulkursen weiter. Zu ihren FreundInnen zählten auch junge KommunistInnen, mit denen sie diskutierte und denen sie half, als diese nach 1933 verfolgt und verhaftet wurden. 1933 ist sie – 10 Jahre nach der Konfirmation – aus der evangelischen Kirche ausgetreten, weil sie die christliche Religion nicht mehr mit ihrer Überzeugung vereinbaren konnte. Mitte September 1939 fand Hilde eine Anstellung bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, dem Vorgänger der BfA.

Intensivierung der Widerstandstätigkeit

Sie intensivierte die Kontakte mit Widerstandskreisen, wo sie Anfang 1940 Hans Coppi sen. kennenlernte. Bald gehörte auch sie zum Freundes- und Widerstandskreis um Mildred und Arvid Harnack und Libertas und Harro Schulze-Boysen, einer Gruppe von jungen Widerständigen aus allen Bevölkerungskreisen, die von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) dem als „Rote Kapelle“ bezeichneten europaweit operierenden Netzwerk zugeordnet wurde und der Spionagetätigkeit für die Sowjetunion verdächtigt wurde. Was sie einte, war die Ablehnung des Hitler-Regimes und die Überzeugung, dass man gegen Nazis, Krieg und Unterdrückung Widerstand leisten muss. Mitte Juni 1941 fragte Harro Schulze-Boysen, der im Luftwaffenministerium arbeitete, Hans Coppi ob er sich vorstellen könne, eine Funkverbindung in die Sowjetunion aufzubauen – denn in wenigen Tagen werde der Krieg im Osten beginnen. Coppi war bereit, diese nicht nur für ihn gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Hilde Coppi besorgte aus der Reichs-Versicherungsanstalt Papier für Flugblätter und verteilte diese illegal weiter. Geradezu aktuell sind Sätze aus einem Flugblatt vom Februar 1942: „Jeder kriegsverlängernde Tag bringt nur neue unsagbare Leiden und Opfer. Jeder weitere Kriegstag vergrößert nur die Zeche, die am Ende von Allen bezahlt werden muss.“ Hilde brachte auch im Mai 1942 im Wedding, gemeinsam mit anderen aus der Gruppe, Klebezettel gegen die antisowjetische Propagandaausstellung „das Sowjet-Paradies“, im Berliner Lustgarten an. Darauf stand: Ständige Ausstellung: das Nazi-Paradies. Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?“ Hilde hörte Nachrichten von Radio Moskau und im „Deutschen Volkssender“ ab und notierte sich Adressen von Angehörigen deutscher Kriegsgefangener, um sie wissen zu lassen, dass ihre Väter oder Söhne lebten. Manchmal half sie, das nicht funktionierende Funkgerät bei Freunden unterzustellen. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Gruppe diskutierte sie über politische und künstlerische Fragen, half Verfolgten, dokumentierte nationalsozialistische Gewaltverbrechen und rief – im Kontakt mit anderen Widerstandsgruppen, mit ZwangsarbeiterInnen und VertreterInnen der amerikanischen und sowjetischen Botschaften in Berlin zum Widerstand gegen die Hitler-Faschisten auf.

Der Leidensweg der Hilde Coppi

Am Morgen des 12. September 1942 wurde Hilde Coppi in der Laubenkolonie „Am Waldessaum“ verhaftet und ins Polizeigefängnis am Alexanderplatz verschleppt. Wenige Wochen vor der Geburt ihres Sohnes kam sie ins Berliner Frauengefängnis in der Barnimstrasse, wo sie am 27. November 1942 ihren Sohn, den sie wie seinen Vater Hans nannte, zur Welt brachte. Am 20. Januar 1943 wurde sie im dritten Teilprozess gegen die Angeklagten der „Roten Kapelle“ vom Reichskriegsgericht wegen „Vorbereitung zum Hochverrat in Tateinheit mit Feindbegünstigung, Spionage und Rundfunkverbrechen“ zum Tode verurteilt. Ein im Juli 1943 mit weiteren Verurteilten gestelltes Gnadenversuch wurde von Adolf Hitler persönlich abgelehnt. Die Hinrichtung wurde bis zum 5. August 1943 aufgeschoben, damit sie den kleinen Hans im Gefängnis stillen konnte. Dann wurde Hilde von einer „grünen Minna“ abgeholt und nach Berlin-Plötzensee gebracht, wo sie um 19.24 Uhr durch das Fallbeil brutal ermordet wurde.

Lebensweg und Recherchen von Hans

Den kleinen Hans hatte man zwei Tage vorher in ein Kissen gehüllt und eine Aufseherin übergab ihn am Eingang des Gefängnisses an die Großmutter. In den Abschiedsbrief an die Mutter schrieb Hilde noch eine kleine Anweisung zur Erziehung von Hänschen: „Und dann, Mama, lasst Hänschen was Ordentliches lernen, am liebsten wäre mir ein zünftiges Handwerk. Ihr werdet ja sehen, wozu er Neigung hat. Er soll nur kein Firlefanz werden und Euch viel Freude machen.“ Nach Kriegsende kam er von der Großmutter mütterlicherseits zu den Eltern des Vaters und wuchs mit ihnen in der Kleingartenkolonie „Am Waldessaum“ in Borsigwalde auf. Das war der gleiche Ort, an dem Hilde und Hans vom Mai 1941 bis zu ihrer Festnahme die glücklichste Zeit ihres Lebens verbrachten, so geht es aus einem Brief Hildes hervor. Seit 1947 erinnert ein kleines Schild an der Laube an die früheren BewohnerInnen. Die 1946 nach Hans und Hilde Coppi benannte Allee in Berlin-Tegel wurde 1948 wieder in Hatzfeld-Allee rückbenannt. Hilde und ihre MitstreiterInnen galten im heraufziehenden Kalten Krieg im Westen Deutschlands und Berlins als „Landesverräter“.

1950 entschlossen sich die Großeltern mit dem 8-jährigen Hänschen nach Berlin-Karlshorst (das gehörte zur DDR) zu ziehen. Nach der doppelten Staatsgründung trugen in der DDR bald Kinderheime, Kindergärten, Straßen, Schulen und Briefmarken die Namen von Hilde und/oder Hans. Hilde Coppi war zur Heldin des Widerstands geworden. Kein Wunder, dass es ihren Sohn immer mehr interessierte, was sich hinter der „Roten Kapelle“ verbarg. Tatsächlich verdeutlichen die Moskauer Recherchen des erwachsenen Sohnes, dass die Berliner Widerstandskreise der sogenannten Roten Kapelle weder von der Moskauer Auslandsleitung der KPD angeleitet worden waren (das war die DDR-Interpretation), noch standen sie „im Dienste einer fremden sowjetischen Macht“ (das war die BRD- Interpretation). Überrascht war Hans Coppi junior allerdings, dass in Moskau kein einziger Funkspruch seines Vaters angekommen war. Wie sich später herausstellte, war die Reichweite des Funkgerätes zu gering gewesen.

In dem Berliner Frauengefängnis an der Barnimstraße, an dessen Stelle heute ein Gedenkort ist, verbrachte Hans, unser früherer Vorsitzender und heutige Ehrenvorsitzender des Berliner VVN-BdA, die ersten acht Monate seines Lebens. In einer kleinen-Biografie, für den Kalender Wegbereiterinnen von 2009 hat Hans seiner Mutter ein Denkmal gesetzt, in dem er über die Zeit mit ihr im Gefängnis schrieb: „Geblieben ist ein Gefühl von Geborgengeit, manchmal erscheint es mir, als ob es die beste und behütetste Zeit meines Lebens gewesen sei.“

URSULA GOETZE

Hier im Haus in der Hornstraße 3 lebte ab 1939 Ursula Goetze. 1915 in Berlin geboren und aus einem evangelisch-bürgerlichen Elternhaus stammend – ihr Vater war Kaufmann, entwickelte sie schon in jungen Jahren Sie ein großes Unrechtsbewusstsein, beobachtete die soziale Not vieler Menschen mit großer Sorge und setzte sich für andere ein. Mit 15 Jahren trat sie 1932 wie ihr Bruder in den kommunistischen Jugendverband in Neukölln ein und engagierte sich gegen die erstarkenden Nationalsozialisten. Bereits kurz nach der Machtübernahme wurde sie erst 16jährig kurzzeitig verhaftet, was sie nicht davon abhielt, weiterhin aktiv zu sein. So sammelte sie Geld und Lebensmittel für Verfolgte und begann 1935 mit Kurierdiensten für illegale Schriften aus der Damaligen Tschechoslowakei, getarnt als Skisportlerin.

Ab 1936 begann sie ihr Abitur an einem Abendgymnasium nachzuholen und lernte dort weitere Widerständige kennen, darunter Liane Berkwitz, Friedrich Rehmer und Eva Rittmeister, der Ehefrau des Nervenarztes John Rittmeister. Aus den gemeinsamen Schularbeitskreisen entstand auch insbesondere durch Ursula Goetze Ender der 1930er Jahre ein Widerstandskreis, der vielleicht einigen als Rittmeister-Kreis bekannt ist und sich der Roten Kapelle anschloss.

Zusammen stellten sie Flugblätter her, verbreiteten diese, halfen Verfolgten. Ursula Goetze übersetzte Flugblätter ins Französische und hielt Kontakt zu französischen Zwangsarbeitenden. Mehrfach stellte sie ihre Wohnung hier in der Hornstraße, in der sie meistens allein lebte, für Treffen zur Verfügung. Auch Funkversuche fanden hier statt.

Der Start der Klebezettelaktion von 1942 gegen die Nazi-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ war hier,

Nach der Aufdeckung der Gruppe geriet auch Ursula Goetze ins Visier der Gestapo und wurde am 15. Oktober 1942, Geburtstag ihrer Mutter, verhaftet und im Januar 1943 wegen Landesverrat und Spionage zum Tode verurteilt.

Kurz vor ihrer Hinrichtung schrieb sie diesen Abschiedsbrief:

Abschiedsbrief:

„Ich stehe heute vor meiner letzten Reise, die wir alle einmal antreten müssen. Ich könnte mir denken, der Gedanke an die lange Zeit der Haft (…) schmerze Euch besonders, und deswegen will ich Euch darüber noch berichten. Ich schrieb schon einmal, Leid vertiefe, aber in welchem Maße, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich war so empfänglich geworden für alles Große und Schöne auf Erden (…). Erst in der letzten Zeit waren mir die Worte Lessings klargeworden: »Ich würde nach dem Streben nach Erkenntnis greifen und nicht nach der Erkenntnis selbst,« Ich (…) hätte künftig mehr Vertrauen zu mir selbst gehabt und hätte das Leben schon gemeistert. (…) Es war eigenartig, wie gerade erst nach dem Urteil alle Vitalität bei mir durchgebrochen war und ich auch das mir noch verbleibende Leben bewußt lebte (…). Es wäre mir eine große Beruhigung, wenn ich hoffen dürfte, daß auch Ihr, meine lieben Eltern, Euch über die Dinge stellen und die Lücke, (…) mit Neuem, Schönem ausfüllen könntet.“

In ihrem Abschiedsbrief an ihre Eltern zitiert sie ein Rilke-Gedicht:

„Vor lauter Lauschen und Staunen sei still
Du mein tief-tiefes Leben:
Dass du weißt, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen
jedem Hauche gib dich, gib nach
Wer wird dich lieben und wiegen
und dann meine Seele sei weit, sei weit
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
über die sinnenden Dinge.

Kurz nach dem Krieg sollte im Zuge der Umbenennung vieler Straßen die Hornstraße nach ihr benannt werden, was nicht umgesetzt wurde.

Möge die Erinnerung an sie und ihr Wirken stets wach gehalten werden. Der Tag heute muss uns Mahnung sein in der aktuellen Zeit: Gegen jeden Rassismus, gegen jeden Antisemitismus und jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit.