„Wehret den Anfängen“ war gestern
28. Januar 2023
Kundgebung der Basisorganisation Friedrichshain-Kreuzberg der VVN BdA am Holocaustgedenktag
Auf der Kundgebung sprach die Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann ein Grußwort. Anschließend wurde im Namen der Basisorganisation FH/XB die folgende Rede vorgetragen:
Liebe Anwesende,
wir sind Trille Schünke und Johann Basko von der Bezirksgruppe Friedrichshain-Kreuzberg der Berliner VVN-BdA. Der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen.
Die VVN wurde, wie es Euch und Ihnen vermutlich bekannt ist, von Verfolgten des deutschen Faschismus und Widerstandskämpfer*innen gegründet. Menschen die unheimliche Schrecken, Ängste und Schmerzen durchleben mussten. Menschen, die ihre Liebsten und in vielen Fällen einen Großteil ihrer Verwandten durch den mörderischen Hass des Faschismus verloren haben. Oft sind sie selbst schwer geschädigt aus den KZs und Zuchthäusern in ihre Heimat zurückgekehrt und sie trafen auf eine deutsche Gesellschaft, die nicht bereit war, sich mit den Gräueltaten der Nazis, ihrem eigenen Verhalten und dessen Folgen, auseinanderzusetzen.
Am 30. Januar 1933, ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler. Mit diesem Akt der Machtübertragung begann die faschistische Herrschaft in Deutschland. Hitler versprach mit dem roten Spuk aufzuräumen und Deutschland Weltgeltung zu verschaffen. Nach 60 Millionen Toten war dieser Alptraum endlich ausgeträumt.
Heute vor 78 Jahren befreite die Rote Armee die überlebenden Inhaftierten des KZ Auschwitz. Es dauerte aber noch Wochen bis zum Ende der Nazi-Herrschaft und des Krieges.
Nach dem Ende des Krieges sorgten die Befreier*innen in Buchenwald und in vielen anderen KZs dafür, dass die ortsansässige Bevölkerung sich ein eigenes Bild von den Verbrechen des Faschismus machen musste, damit diese Verbrechen nicht weiter geleugnet werden konnten. Denn, nachdem die Warnenden zum Verstummen gebracht wurden und der antifaschistische Widerstand zerschlagen war, gelang des dem NS-Regime, die große Mehrheit des deutschen Volkes zu Verfechtenden und Duldenden ihres Herrenrasse-Denkens zu machen.
In der Bundesrepublik dauerte es jedoch bis in die 60er Jahre, um diese Vergiftung der Hirne öffentlich zu skandalisieren.
Gegenwind begann mit dem Auschwitzprozess in Frankfurt und erhielt durch die Jugendbewegung der Außerparlamentarischen Opposition massenhafte Verbreitung. Im sich anschließenden roten Jahrzehnt konnte das Gefühl entstehen, dass der Antifaschismus allgemeingültig und unumkehrbar geworden sei. Nazi-afine Parteien verschwanden aus den Parlamenten und ihre aktive Anhängerschaft schmolz deutlich.
Doch die sog. Wende die zum Ende der staatlichen Teilung führte, leitete auch einen Aufschwung der neonazistischen Szene in beiden Teilen des ehemals gespaltenen Landes ein. Wenn wir zurückschauen auf die letzten 30 Jahre dürfte nicht mehr strittig sein: Die Zeiten, in der wir noch mit der Parole „Wehret den Anfängen“ auf die Straße gegangen waren, sind seit geraumer Zeit vorbei.
Das gesellschaftliche Millieu des rechten Lagers, das gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit pflegt und bereit ist, dafür zu morden, hat sich stabilisiert und vergrößert. Es bezieht auch Unterstützung aus der sog. Mitte der Gesellschaft. Auch in der Exekutive möchten Freund:innen eines antidemokratischen Staatsstreichs gerne zur Tat schreiten. In den ländlichen Gebieten setzt die Nazi-Szene auf völkische Landnahme und das Mundtotmachen derer, die sich entgegensetzen. Die neofaschistische Rechte macht ganze Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer Herkunft und ihres Glaubens zur Zielscheibe. Sie schiesst und mordet. Weit über 200 Menschen – hat ihre Ideologie seit der Wende bereits das Leben genommen.
Zusammengehalten wird der gemeinsame Aufmarsch dieser Kräfte durch die AFD, in der sich der Flügel durchgesetzt hat, welcher im Kern der Strategie und Taktik der NSDAP folgt.
Jene Strategie und Ideologie hat zu Qual, Leid und Vernichtung der Menschen geführt zu deren Gedenken wir uns heute hier versammelt haben.
Vor 80 Jahren wurden die Mitglieder der sog. Roten Kapelle hingerichtet. Die Rote Kapelle war eines der größten Widerstandsnetzwerke gegen das NS-Regime. Etwa 150 Personen ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft und Weltanschauung waren hier aktiv, mindestens ein Drittel von ihnen Frauen.
Hier an der Stele steht der Name der Friedrichshainer Widerstandskämpferin Gerda Boenke, geb. Schmeer. Die Arbeiterin wirkte als Kurierin und verbreitete Flugblätter. Gerda Boenke bezahlte für ihren Einsatz wie viele andere noch Ende 1944 im Alter von 31 Jahren mit ihrem Leben.
Forderungen nach Aufrüstung, zügellosem Waffenexport, Bekenntnis zu notwendiger Gewaltanwendung in der Außenpolitik sowie deutscher Führung in Europa sind elementare Bestandteile autoritärer und rechter Weltbilder und Ideologien.
Die Geschichte mahnt uns – Antifaschist*innen und Demokrat*innen, derartiges verbales, innenpolitisches und militärisches Aufrüsten stärkt die Position der Rechten, welche in Europa und international auf dem Vormarsch sind – Es sind ihre Kernkompetenzen – und sie sind der Grundstein eines wieder aufkeimenden Faschismus.
Im Schwur von Buchenwald ist das Kernanliegen der VVN verankert mit den Forderungen „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!. Heute – 78 Jahre später – ist deutlicher denn je zu erkennen:
Beides – Antifaschismus und Friedenspolitik – gehören zusammen.
Daher lasst uns derer gedenken, die Opfer des Hitler-Faschismus wurden, um sie zu würdigen und damit uns ihr Schicksal leitet, bei unseren Entscheidungen in der Gegenwart.