»Es wird nur von ›Extremismus‹ gesprochen«

18. November 2020


Der Verfassungsschutz definiert, welcher Zweck gemeinnützig ist.
Antifaschistischer Verein ist es demnach nicht. Ein Gespräch mit
Benedikt Hopmann


Verschiedenen progressiven Organisationen ist der Status der
Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Betroffen ist unter anderen die
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen
und Antifaschisten, kurz VVN-BdA. In der Folge schloss sie sich der mehr
als 180 Organisationen umfassenden »Allianz Rechtssicherheit für
politische Willensbildung« an. Welches Ziel verfolgt dieses Bündnis?

Es geht um die Änderung der rechtlichen Grundlagen in der deutschen
Abgabenverordnung. Was die VVN-BdA angeht, sind sich alle einig: Die
derzeit bestehende Beweislastumkehr muss gestrichen werden. Wenn eine
Organisation beispielsweise vom Verfassungsschutz als
»linksextremistisch« eingestuft wird, so ist das laut Abgabenordnung
»widerlegbar«, die betroffene Organisation muss also den Gegenbeweis
antreten. Andernfalls verliert sie den Status der Gemeinnützigkeit. Die
Allianz fordert, dass derjenige, der diese Anschuldigung erhebt, diese
belegen muss, bevor die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann. Im Fall
der VVN-BdA ist das die Berliner Finanzbehörde, gestützt auf den
bayerischen Verfassungsschutz.

Das dürfte den Entzug der Gemeinnützigkeit erschweren. Doch wieso lässt
man die Deutungshoheit der Verfassungsschutzämter unangetastet?


Das ist das Problem und auch der Grund, weshalb jene Forderung der
Allianz zwar in die richtige Richtung geht, aber nicht ausreicht. Diese
Deutungshoheit ist verankert in einem zentralen Satz der Abgabenordnung,
Paragraph 51 Absatz 3 Satz 2: »Bei Körperschaften, die im
Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische
Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen«, dass
sie sich gegen die sogenannte freiheitlich-demokratische Grundordnung
richten. Neben der Beweislastumkehr muss auch dieser Automatismus
gestrichen werden.

Damit bliebe aber der Extremismusbegriff ausschlaggebend.

Richtig. Es wird eben nicht gesagt, dass Organisationen ihre
Gemeinnützigkeit verlieren, die faschistische Bestrebungen unterstützen,
sondern nur allgemein von »Extremismus« gesprochen. Es muss endlich
Schluss damit sein, dass die in Plötzensee 1943 hingerichteten Hans und
Hilde Coppi sowie die in ihrer Tradition stehende, älteste
antifaschistische Vereinigung VVN-BdA auf der einen Seite und die Mörder
der Coppis sowie heutige Gleichgesinnte dieser Mörder auf der anderen
Seite mit demselben Begriff belegt und ausgegrenzt werden können.
2010 hatte das Bundesverfassungsgericht eine Auflage als
verfassungswidrig verworfen, die einem Straftäter verbot,
»rechtsextremistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut
publizistisch zu verbreiten«. Denn: Dem Begriff »rechtsextremistisch«
fehle es an »bestimmbaren Konturen«. Dies muss erst recht für den noch
weniger bestimmten Extremismusbegriff gelten.

Die Abgabenverordnung ist ein Bundesgesetz. Was unternimmt die
Bundesregierung, die wiederholt stärkeres Vorgehen gegen rechts
angekündigt hat?


Ihr Handeln geht in die entgegengesetzte Richtung. Es werden wohl
weitere Zwecke als Vereinsziel in die Abgabenordnung aufgenommen, die
als gemeinnützig anerkannt werden. Aber das reicht überhaupt nicht aus
für die zivilgesellschaftlichen Vereine, denen die Gemeinnützigkeit
aberkannt wurde, weil sie »zu politisch« handeln. Der VVN-BdA hilft das
schon gar nicht. »Zivilgesellschaftliches Handeln, das politisch und antifaschistisch ist, ist gemeinnützig« ist die Formel, die den Kern der
Auseinandersetzung beschreibt. In der Abgabenordnung sollte es heißen:
»Bei Körperschaften, die die Wiederbelebung oder Verbreitung
nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des
nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und
antisemitische Aktivitäten zulassen oder fördern, sind die
Voraussetzungen für eine Steuervergünstigung nicht erfüllt.« Wobei der
Begriff »nationalsozialistisches Gedankengut« genauer bestimmt werden
müsste. Das greift auf, was die Abgeordneten der Partei Die Linke und
der CDU in diesem Jahr gemeinsam als Staatsziel in die Verfassung von
Sachsen-Anhalt aufgenommen haben. Auch das Land Bremen arbeitet daran. Doch bei Staatszielen kommt es am Ende immer darauf an, ob und wie sie umgesetzt werden.

Benedikt Hopmann ist Rechtsanwalt in Berlin und verantwortlich für das
Internetportal widerstaendig.de

Marc Bebenroth

jW 17.11.2020 / Inland / Seite 2