8. Mai 2020 – 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus
16. Mai 2020
Am 8. Mai 2020 jährte sich zum 75. Mal der Tag des Sieges über den deutschen Faschismus. Leider mussten coronabedingt viele geplante Veranstaltungen und Feiern ausfallen. Unsere Basisorganisation entschloss sich, im Rahmen der eingeschränkten Möglichkeiten eine erste öffentliche Gedenkaktion durchzuführen. Wir meldeten diese Veranstaltung für 15-20 Leute an. Doch – und das war, trotz der dadurch erschwerten Bedingungen die Corona-Schutzmaßnahmen einzuhalten, eine freudige Überraschung – kamen über 70 junge und alte Antifaschist*innen, die vor allem von den Westberliner Bezirken der VVN mobilisiert wurden.
Nach kurzer Begrüßung der Teilnehmer*innen gab es zwei Redebeiträge. Der erste thematisierte die Geschichte des Columbia-Hauses, das zum 1. Konzentrationslager Berlins wurde. Der zweite dokumentierte die Lebensläufe von Kommandanten dieser Zwangsanstalten. Anschließend wurde der Text des Schwurs vom Buchenwald vorgetragen. Zum Abschluß der Veranstaltung legten die Teilnehmer*innen am Mahnmal Blumen zum Gedenken an die Menschen nieder, die hier gequält oder ermordet wurden.
Das 1. Berliner Konzentrationslager
Ich begrüße euch alle zu unserer kleinen Gedenkveranstaltung. Heute ist der 8. Mai und er ist eine Feiertag. Und in der Tat trifft dieses Wort auf den 8. Mai ganz besonders zu. Denn an diesem Tag gibt es wirklich etwas zum Feiern. Vor 75 Jahren unterschrieben die Generäle und die politischen Führer des Nazi-Regimes ihre bedingungslose Kapitulaton und beendeten damit ihre Terrorherrschaft, die für die monströsesten Verbrechen des 20. Jahrhunderts die historische Verantwortung trägt.
Zweifellos fielen dem mörderischen Rassismus des Regimes die meisten Menschen zum Opfer. Doch der NS-Staat nährte sich auch aus Hass und Furcht des Bürgertums vor der sozialistischen Arbeiterbewegung, einer manischen Bolschewismus-Phobie, die die Nazis bedienten. Hitler bot ihnen seine Dienste an mit dem Versprechen, er werde der „Zerbrecher des Marxismus“ sein.
Das NS-Regime konnte natürlich nicht den Marxismus zerbrechen. Doch es konnte tausende Menschen körperlich zerbrechen, die für den Sozialismus gekämpft haben, da er ihnen die Hoffnung auf eine Gesellschaft verkörperte, die arbeitenden Menschen größere Freiheit und ein Leben ohne Angst vor Armut ermöglicht.
Wir stehen hier vor einem eher unauffälligen 1994 errichteten Mahnmal, das die Erinnerung an das sog. Columbia-Haus wachhalten soll
– es war ein Ort, in dem insbesondere Aktivisten der Berliner Arbeiterbewegung entwürdigt, gequält und auch ermordet wurden.
Insgesamt wird die Zahl der eingewiesenen Männer auf über 8000 geschätzt.
Das Haus stand auf der anderen Seite des Columbiadamms – schräg gegenüber. Gegründet wurde es 1896 als Militärarrestanstalt und verfügte über 156 Kerker.
Zunächst unterstand es der Berliner Polizei.
Nach dem Machtantritt der Faschisten übernahm Polizeimajor Walter Wecke, ein Freikorpsführer und Gründungsmitglied der NSDAP das Kommando.
Ebenfalls hier stationiert war die SS-Stabswache unter Oto Reich.
Im Sommer 1933 erhielten beide Gruppen den Auftrag zu Massenverhaftungen. Die Verhafteten wurden mit Fäusten und Gewehren, teilweise zu Fuß, teilweise in Polizeibussen unter dem Gejohle der Bevölkerung zum Verhör in die Prinz-Albrecht- Straße und dann in die umliegenden Kasernen, also auch in das Columbia-Haus, verfrachtet.
Das Columbia-Haus wurde – so der Bericht unseres Kameraden und langjährigen Aktivisten der VVN, Wolfgang Szepansky, der selbst hier eingesperrt war -, „von Beginn an als Konzentrationslager“ geführt. Und es quoll über an Menschen. Waren es 1933 noch 80, steg die Zahl der Inhafierten bis 1934 auf 450.
Zur drastschen Überbelegung kam, dass die Wachmannschaften bei der Behandlung völlig freie Hand hatten, so dass nicht nur misshandelt sondern auch folgenlos totgeschlagen wurde.
1934 endete die Unterstellung des Hauses unter die Gestapo. Das Columbia-Haus wurde dem Konzentrationslager-Komplex und Aufsicht der SS unterstellt – und damit das erste offizielle KZ auf Berliner Boden.
Es war für viele spätere KZ-Kommandanten eine ihrer ersten „Karriere“-Stationen. Als letzter übernahm der SS-Oberführer Heinrich Deubel das Kommando. Er wurde 1936 abgelöst. Womöglich missfiel, dass es während seine Zeit nur einen Toten gab, zudem ein Selbstmord.
Das Columbia-Haus wurde 1936 aufgelöst, weil Himmler alle kleinen KZs schließen ließ. Als neuer Typus stand dann das KZ Sachsenhausen. Hier wurden Häftlinge zur Arbeit in den neu entstandenen SS-Unternehmen eingesetzt und erstmals wurde systematisch „Vernichtung durch Arbeit“ betrieben.
Die Pläne dafür entstanden im Columbia-Haus. 1938 wurde das Haus abgerissen, da es der Erweiterung des Flughafens im Wege stand.
Erst zu Beginn der 80er begann man sich wieder für die Geschichte des Hauses zu interessieren. Ehemalige sozialdemokratische Nazi-Verfolgte machten „antifaschistische Spaziergänge“. Dann schlief das Thema wieder ein.
1995 versprach der damaligen Landesvorsitzenden der SPD, Dietmar Stafelt, die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Tempelhofer Feld.
Das Versprechen wurde jedoch nicht eingelöst.
Ein nächster Anlauf war die Gründung der Initatve „Förderverein für eine Gedenken an die Nazi-Verbrechen auf dem Tempelhofer Feld“ 2010.
Der Verein erinnerte auch mit Bildungsveranstaltungen und Führungen an das Schicksal der vielen Zwangsarbeiter, die den Barackenlagern rund um das ehemalige Columbia- Haus als Bauarbeiter insbesondere für die Rüstungsindustrie arbeiten mussten.
Wenn die Petition unserer Kameradin Esther Bejarano, die bisher von 110 000 Menschen unterschrieben wurde, Erfolg hat, könnte der 8. Mai ab 2020 bundesweit einen festen Platz im Kalender bekommen.
Das könnte auch die Chancen verbessern, hier auf dem Tempelhofer Feld das antifaschistische Gedenken zu verstärken und sichtbarer zu machen.
Auf jeden Fall ist ein bundesweiter Feiertag die passende Antwort der Gesellschaft auf den neuen Rechtsextremismus, der auf offen terroristischen wie parlamentarischen Wegen unterwegs ist, das Land sturmreif zu schießen für ein Regime-Change von rechts.
Wir sagen heute am 8. Mai „DANKE“ an alle, die mithalfen, Europa vom Faschismus zu befreien!
Und wir fühlen uns solidarisch verbunden mit allen, die auch heute noch den Schwur von Buchenwald beherzigen:
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg